BOTANICA

The Magnetic Waltz

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01. Matter Of Taste 6:09

02. Age Of Irony 3:11
03. 3 Women 3:34
04. Valse Magnetique 3:17
05. Faith 2:34
06. Sex Offender 3:49
07. Carousel 5:46
08. With You 3:59
09. Shira & Safia 2:41
10. Grand Central 4:14
11. Warm Winter 7:37



John Andrews: guitars
Christian Bongers: electric & doghouse bass
Keith Crupi: drums, kalimba
Paul Wallfisch: voice, wurlitzer, organ, piano, toy piano, accordion, melodica, string arrangements
with:
J. Mae Barizo: violin
Abby Travis: voice

Words: Paul Wallfisch
Music: Botanica, except Grand Central: John Andrews

Produced by Paul Wallfisch & Botanica
Co-Producer: UK Rattay

Recorded by TJ Carter and Martin Bisi
Mixed by Mattias Murhagen, Ken Rich & Paul Wallfisch
Mastered by Fred Kevorkian at Avatar, New York City

Art & design by Patricia Arnao

 

Es ist heiss in der Stadt. Der Abend fällt. Nick Cave und Bertolt Brecht sitzen auf dem Dach, Caves Hemd klebt, Brechts Brille ist beschlagen, die Geräusche der Stadt sind hier oben nur ein fernes Grollen. Die beiden Männer unterhalten sich über Musik. Urbane Musik. Wie sie wohl sein müsste und was bloß aus ihr geworden ist, sowas hatte es ja mal gegeben, vor und nach den Kriegen. Diese Art Großstadtmusik, deren Relevanz über Sprachbarrieren, city limits und statelines hinaus geht. Die sich anfühlt wie ein Bordstein unter dem Hintern, auf dem man den großen Fragen nachhängt, während man einem Straßenköter beim Pissen zusieht. Reell. „Anspruchsvoll“, konstatiert Brecht, „und unbedingt elektrisch!“ „Poesie! Dunkle Romantik!“ wirft Cave ein. „Und Blues“, setzt Polly Jean Harvey hinzu, die Eiswasser und eine neue Flasche Gin bringt. Die Männer nicken zustimmend und verfallen erneut in Schweigen. „Aber wie klänge das dann?“ fragt schließlich Brecht, etwas sehnsüchtig versonnen. „So, in etwa!“ ruft überraschend Kurt Weill aus der Küche, den alle vergessen hatten, und dreht den Lautstärkeregler etwas höher.

Ein paar knappe Gitarrenakkorde, Minimal-Schlagzeug, Kontrabass, eine raue, ausdrucksstarke Stimme zwischen John Cale, Elvis Costello und Matt Johnson - und schon ist man drin. Lange Sätze, kurze Strophen, Schönheit, Zweifel, Gott und die Welt und ein Himmel voller Kippen:

If a sin ain’t a sin then you don’t need a savior
You won’t need god for good to be on your best behavior
If Lasik laser surgery could open up your faith
and god was just another prop, an element of taste
just a matter of taste.


Was sich in den folgenden sechs Minuten dieser unprätentiösen, lauten Kunstrock-Ballade abspielen wird, ist ihrem sparsamen, kontemplativen Anfang zwar nicht zu entnehmen, aber genauso wenig aufgesetzt. Darüber herrscht schweigender Konsens auf dem Dach. Schon nach ein paar Takten nickt Cave leise und murmelt, beinah lächelnd: „Alright...“.

Inzwischen hat es sich herumgesprochen: Paul Wallfisch ist es wert. Wie auch immer. Allein mit Orgel und Piano oder mit Botanica, seiner Band. Umjubelte Auftritte im WDR-Rockpalast und beim Reeperbahn-Festival im Sommer 06. The Magnetic Waltz heisst das neue Botanica- Album, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Die Gute Nachricht der Band sich damit nicht rasch weiter verbreiten würde.

Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Wallfisch ist Rockmusiker. Er ist aber auch ein Reisender, der seiner Musik allerlei von unterwegs mitbringt, aus Indonesien, Finnland oder Guinea, was seine Rockmusik schließlich global macht. Kein oberflächlicher Worldbeat-Crossover mit Touristen-Charme, sondern Musik aus der urbanen Welt entwickelt sich so, die fest verankert bleibt in der US-amerikanischen Kultur nach ’45, der Wallfisch selbst entstammt. Was uns zum Rock zurückführt. Ein sinn- und augenfälliger Kreislauf, der auf eine Haupteigenschaft von Botanicas Musik hindeutet: sie ist schlüssig.

Botanica (in den USA die Bezeichnung für kleine pseudo-esoterische Kramläden, als Bandname eher ironisch zu verstehen) gehören zu jenen Bands, deren Musik sich nicht unbedingt im ersten Moment erschließt, obwohl sie sich auf der Stelle vertraut anhört. Sie ist komplexer als es zunächst scheint, für Rockmusik außergewöhnlich testosteronarm und ungefähr so marktschreierisch wie ein stummer Bananenverkäufer. Zudem ist Wallfisch Organist; sobald er in die Tasten greift, übernimmt die Orgel Dynamik und Atmosphäre und zieht das Primär-Rockinstrumentarium aus Trommeln und Gitarren locker nach.

Stets angedunkelt mit einem Hauch von Bohemien-Dekadenz meiden Wallfisch & Co. das Klischee nicht, sie nutzen es. So ist das französisch gesungene Titelstück des neuen Albums („La Valse Magnetique“) musikalisch ein Hybride aus Chanson, Flamenco und Rock, und wenn John Andrews’ Gitarre die Musette auseinander reisst, dann weiß man auch ohne entsprechende Sprachkenntnisse, dass es ernst für jemanden wird. Das deklamatorische „Faith“ hat Bob Dylan und Gene Vincent in der schiefen Statik, während „Sex Offender“ zwar zum Tanzen anregt, den Tänzer aber stets ein bisschen skeptisch hinterlässt, als würde das textlich „anrüchige“ Thema durch die Bewegung ins Bewusstsein sickern. „3 Women“, das an eine englische _-Takt-Ballade aus der Arbeiterklasse erinnert, erzählt von einem tragischen Vater und der Selbstentfremdung seines Sohnes.

Angst, bei den Balladen zuviel Persönliches preiszugeben, scheint Wallfisch indes nicht zu haben. Ebenso überzeugend, wie Botanica musikalisch jeder Dynamik gewachsen sind, hält Paul die textliche Balance zwischen Privatem und peinlicher Nabelschau. Manchmal muss eben gesagt werden, was gesagt werden muss. Auch, wenn es weh tut.

ROLF JÄGER

 

 

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